Heimweh nach der Heide

Heimweh nach der Heide befällt mich - trotz oder wegen der Reiserei von heute-immer noch. Besonders, wenn der Flieger zum Start rollt, um dort das Unvermeidliche zu tun: „Weiter wegmachen"! So sagte Tante Martha, unsere Kindertante aus Ostpreußen, wenn sie mal in die Celler Innenstadt einkaufen fuhr. Der Heimwehanfall überfiel mich denn auch verlässlich jetzt in München, wo wir zwischenlandeten, um dann erst weiter wegmachen", außer Landes, zu müssen. Jetzt würde der Anfall kommen, den ich jeweils mit meiner Großmutter bekämpfe. „Denn" - mahnte meine Großmutter Thea früher und nahm dabei ihre Brille ab, was die besondere Wichtigkeit der kommenden Mahnung ankündigte - „denn nur wer Heimweh hat, hat ein Heim mit Lieben zum Lieben." Doch diesmal waren meine großen Gefühle umsonst: Die Maschine zitterte dem Start entgegen, als die Stimme des Kapitäns bedauernd tönte: Schwerer Hydraulik-Fehler. Zurück zum Flughafen. Warten, bis Nachricht käme. Wegen Ersatzmaschine und so. Nach einer Stunde hatte die Lufthansa ausreichend eine Ersatzmaschine gesucht, um sagen zu können, dass sie keine gefunden hatte und wir fahrplanmäßig warten müssten. Sechs Stunden. Noch mehrere Stunden Heimatgefühle also. Ja, doch, auch auf dem Franz-Josef-Strauß-Airport lassen sich Heide-Heimatgefühle genießen, denn der Spargel (Essensgutschein der Luftlinie zum Trost) bestätigte mich in meiner Vermutung: Nur unser Heidespargel ist welcher! Fünf Stunden später im Rollfeld-Bus zum neuen Flugzeug. dem letzten des Tages, trat jenes Phänomen ein, das Häufungsphänomen heißt: Als wir alle im Bus waren, zischten die Türen noch einmal, getrieben von der Hydraulik. Doch dann - nichts. In das unruhige Schweigen von uns Sardinen in der Bus-Büchse kam eine neue Stimme: Der Bus sei defekt: Die Hydraulik seis's...Die Bustüren ließen sich dann von außen mechanisch öffnen und einen Ersatzbus gabs auch. Oben in der Luft dann saß ich neben einem Mann, der über Hydraulik einiges wusste. Nein, kein Diplomingenieur. Urologe war er, ein - wie Tante Martha damals unter vorgehaltener Hand damals erklärte - ein Pipi-Doktor. Dieser Arzt erklärte mir, dass zu er einem Kongress flöge, wo es - sozusagen - um die Hydraulik des Menschen ginge. Hydraulik sei weit mehr als die technische Lehre von ruhigen und bewegten Flüssigkeiten. Diese Technik sei eigentlich im Menschen. Denn hydor (griech.) heiße Wasser und, aulos" das Rohr. Und deren Funktionen pflege nun einmal die Urologie. Harnwasser und Harnröhre und so. Zum Häufungsphänomen: Wir erhielten auf diesem Flug kein Essen, geschweige ein Sandwich, kein Getränk. Wie die Chefstewardstimme bedauernd mitteilte, habe in München die Hubkraft des Catering-Autos versagt, das die Bordküche versorgt. „Denn", sagte meine Großmutter, „denn nur wer Heimweh hat, hat ein Heim mit Lieben zum Lieben." Diesmal hatte ich Heimweh nach dem Uelzener Taxi, nach dem Uelzener Reisebüro, nach dem Uelzener Bahnhof, nach allem, was da zuhause so verlässlich klappt. Hydraulisch meine ich.

06.August2002